Wenn der Geist nicht loslassen kann
Vor einigen Tagen hatte ich Geburtstag. Das hat mich an einen Aspekt meiner Ghosting-Erfahrung erinnert, über den ich heute ein paar Zeilen schreiben möchte.
Nachdem mein Geist verschwunden war, versuchte ich natürlich alles, um Kontakt zu bekommen. Ich wollte ja schließlich wissen, was los ist und habe mir tatsächlich auch Sorgen gemacht, dass ihm etwas passiert sein könnte. Allerdings habe ich nie eine Antwort erhalten oder auch nur einen Hinweis darauf, dass meine Nachricht gelesen wurde. Damals war an What’s App und Lesebestätigungen noch nicht zu denken und selbst, wenn es das zu dieser Zeit schon gegeben hätte, denke ich, dass mein Geist es so eingestellt hätte, dass ich nicht sehen kann, ob er meine Nachricht gelesen hat.
Ich habe aber auch keinen konkreten Hinweis darauf, dass er mich damals bei Messengern und Co. blockiert hätte. Ich glaube insgesamt, dass er durchaus meine Nachrichten bekommen und diese auch gelesen hat. Warum er sie nicht beantwortet hat, bleibt (s)ein Geheimnis. Als mein Geist verschwand, war es Sommer, und es vergingen Monate, in denen das so ging. Bis zu meinem Geburtstag. Es war mein Geburtstag, als mein Telefon mit anonymer Nummer klingelte. Ich ging ran, meldete mich und hörte … nichts. Ich fragte, wer dran sei, glaubte an eine technische Störung, weil ich keine Antwort bekam und legte schließlich wieder auf, weil ich dachte, dann könnte derjenige nochmal anrufen. Es erfolgte aber kein Anruf mehr. An meinen Geist hatte ich zu dem Zeitpunkt tatsächlich nicht gedacht (ich befand mich auf Arbeit und hatte schlichtweg andere Dinge zu tun). Erst später erinnerte ich mich an diese Begebenheit. Ich wurde misstrauisch, überlegte, ob ich ihm eine Nachricht schreiben sollte, ihn fragen, ob er es gewesen sei.
Bis heute weiß ich nicht, ob er der Anrufer war. Aber das Spiel wiederholte sich und zwar immer an meinem Geburtstag für die nächsten Jahre. Immer an meinem Geburtstag erhielt ich einen anonymen Anruf. Nie sagte der andere was. Und doch bin ich überzeugt, dass es sich um meinen Geist handelte. Ich habe meine Nummer seit Jahren nicht geändert, sie ist immer noch dieselbe, wie zur Zeit der Trennung. Theoretisch könnte er mich also immer noch unter dieser Nummer erreichen, wenn er wollte. Allerdings bleiben die wortlosen Geburtstagsanrufe in den letzten Jahren aus. Ich komme nicht umhin, festzustellen, dass sie mir fehlen.
Sofern es sich bei dem anonymen Anrufer tatsächlich um meinen Geist gehandelt haben sollte, stützt das meine These, dass auch der verschwindende Part in einer Ghosting-Situation unter dieser leidet. Denn er bekommt ja, sofern er nicht alle Kommunikationskanäle abbricht, doch auf die eine oder die andere Art mit, was es mit dem Menschen macht, den er im Stich gelassen hat. Und ich glaube, gerade, wenn es nicht so ist, dass der Geist von Anfang an alles so geplant hat und wirklich etwas während der Beziehung zu seinem Partner für diesen empfunden hat; ist auch das Verschwinden wohl nicht einfach.
Wenn ich an meinen Geist denke: Wir kamen beide aus kaputten Beziehungen; genauer gesagt begleiteten wir uns gegenseitig in der Zeit, in der unsere Beziehungen zerbrachen. Zu dem Zeitpunkt waren unsere Gefühle tatsächlich rein freundschaftlich. Erst eine Weile nach dem unsere Beziehungen beendet wurden (übrigens jeweils nicht von uns, der jeweils andere Part entschied sich, die Beziehung zu beenden), kamen wir uns auf der romantischen Ebene näher. Er wusste also, wie schlecht es mir nach der Trennung von seinem Vorgänger ging. Er half sogar dabei mit, meine verletzten Gefühle wieder zu heilen. Er wusste, was eine Trennung bei mir anrichten würde. Vielleicht konnte er meinen Schmerz nicht ertragen und hat deswegen den Weg gewählt, einfach zu verschwinden. Vielleicht wollte er aber gleichzeitig sicher gehen, dass es mir ‚irgendwie gut‘ geht und hat deswegen angerufen, ohne etwas zu sagen. Vielleicht wollte er was sagen, hatte aber Angst vor meiner Reaktion. Vielleicht war es gut, dass er angerufen und nichts gesagt hat. So wusste ich zumindest, dass er lebt. Vielleicht war es auch schlecht, dass er angerufen hat, weil es mich immer wieder in die Situation brachte. Andererseits glaube ich auch nicht, dass es mir leichter gefallen wäre, mit dieser Erfahrung abzuschließen, wenn ich keine Anrufe erhalten hätte. Auch das alles werde ich wohl leider nicht erfahren, solange mein Geist die Sache nicht aufklärt.
Du siehst, ich weigere mich nach wie vor, in (m)einem Ghoster ein „gemeines, empathieloses Monster“ zu sehen. Vielleicht wollte er, dass ich ihn so sehe, vielleicht hat er gehofft, ich würde ihn hassen. Denn vielleicht ganz sicher ist es einfacher, jemanden aus dem Leben zu werfen, der einen hasst. Aber ich empfinde für meinen Geist keinen Hass, hab ich nie und werde ich wohl auch nie. Vielleicht ist es für den Geist genauso schwer loszulassen, wie für den Verlassenen. Irgendwie spiegelt sich das auch oft in den Mails wieder, die mir von Betroffenen geschickt werden.
Ich würde gern verstehen, was dahinter steckt und ob das, was ich mir zusammen reime, der Wahrheit entspricht. Letzten Endes ist das ja auch alles Spekulation. Ich weiß ja gar nicht sicher, dass es sich bei dem anonymen Anrufer um meinen Geist gehandelt hat. Vielleicht war es tatsächlich nur jemand, der mit einer technischen Störung zu kämpfen hatte. Jedes Jahr an meinem Geburtstag. Auf meiner privaten Handynummer. Aber was, wenn nicht…?
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