Ghosting – was das ist und was es mit mir gemacht hat

Was glaubst du, ist das Schlimmste, was in einer Beziehung passieren kann? Was ist in deinen Augen die schlimmste, verletzendste Art für eine Trennung? Die häufigsten Trennungsgründe sind ja diese hier:

  1. Die Gefühle für den Partner sind auf der Strecke geblieben
  2. Ein Partner hat sich in jemand anderen verliebt.
  3. Das Vertrauen zum Partner ist verschwunden (z. B. durch einen Seitensprung, aber auch durch alltägliche Vertrauensbrüche)
  4. ein traumatisches Ereignis, an der die Beziehung zerbricht (Unfallfolgen, Tod des Partners)

Okay, keiner davon ist wirklich schmerzfrei und natürlich tut jede Trennung weh  (und wenn nicht, dann war sie wohl tatsächlich mehr als überfällig). In meinen Augen gibt es aber eine noch schlimmere Trennungsart: das sogenannte “Ghosting”.

Was ist Ghosting?

Stell dir folgendes vor: Du hast eine Beziehung, ihr liebt euch wirklich, schmiedet gemeinsam Zukunftspläne …. und plötzlich verschwindet der Partner von jetzt auf gleich von der Bildfläche. Ohne einen Auslöser. Es gab keinen Streit. Ihr habt euch am Vorabend mit einem zärtlichen Kuss voneinander verabschiedet und für den nächsten Tag verabredet. Und heute? Stille. Keine Guten-Morgen-Schatz-Nachricht bei WhatsApp oder als SMS. Kein an dich gerichteter Bild-Post bei Facebook. Anfangs denkst du noch, dass er am Vorabend ja mit Freunden unterwegs war, wahrscheinlich ist es einfach spät geworden und du übst dich in Geduld. Doch auch bis zu eurer Verabredung tut sich nichts. Langsam beginnst du dir Sorgen zu machen, versuchst ihn zu erreichen – aber er reagiert auf keinen Anruf. Du siehst, dass er deine Nachrichten gelesen hast, kannst auch sehen, dass er online ist – aber eine Antwort bekommst du nicht… Schlechter Tag? Vielleicht. Aber was, wenn du auch am nächsten Tag nichts hörst und auch nicht am übernächsten und überübernächsten…

Irgendwann beginnst du zu begreifen, dass dein Partner nicht mehr zu dir zurückkehren wird. Das Problem ist nur, dass es dein Herz nicht begreifen kann…

Gibt es nicht, denkst du? Doch. Man nennt dieses Verhalten Ghosting und auf dieser Seite möchte ich dir über meine persönlichen Erfahrungen mit dem Thema berichten und dir bewusst machen, was es mit dir oder deinem Partner macht, wenn du auf diese Art verlassen wirst oder jemanden auf diese Weise verlässt. Und was du tun solltest, wenn du betroffen bist.

Was es mit dir macht

Die Stell-dir-vor-Geschichte, die du eben gelesen hast, ist mir selbst passiert. Nicht exakt so, wie ich sie aufgeschrieben habe, (bei uns kamen noch 400 km Entfernung dazu…) aber sonst ist es ganz gut getroffen. Diese Erfahrung ist nun bald 20 Jahre her und wie man unschwer erkennen kann, beschäftigt mich das Ganze immer noch. Es ist also recht offensichtlich, dass es neben den kurzzeitigen Folgen auch langfristige Folgen gibt. Ich möchte dir einmal auflisten, welche Gefühle damals direkt nach seinem Verschwinden in mir entstanden sind und welche sich zum Teil auch bis heute hartnäckig halten. Die Auflistung ist nicht chronologisch, die meisten Gefühlslagen wechsel(te)n ab und vermisch(t)en sich wild miteinander.

  1. Angst: Das war so ziemlich das erste was hochkam, ich hatte einfach nur Angst, dass ihm etwas passiert sein könnte.
  2. Verzweiflung: Der Angst folgte die Verzweiflung auf dem Fuße, denn ich konnte ihn nicht erreichen.
  3. Traurigkeit: Sie kam dann, als ich begriff, dass es sein Weg war, unsere Beziehung zu beenden. Bis ich das begreifen konnte vergingen aber einige Wochen.
  4. Schuldgefühle, wenn du bei dir selbst nach den Gründen für sein Verhalten suchst.
  5. Enttäuschung, weil er auch auf die 521. Nachricht von dir nicht reagiert
  6. Frustration, wenn du irgendwann mitbekommst, dass er sein Leben weiter lebt und evtl. eine neue Partnerin hat
  7. Hoffnung, weil du immer daran glaubst, dass er sich doch noch einmal melden könnte.
  8. Du fühlst dich vielleicht von anderen ausgeschlossen und unverstanden.
  9. Du weißt, dass deine Freunde und Familie hinter deinem Rücken darüber tuscheln und ggf. dir die Schuld zuweisen (denn jemand anderes ist ja nicht mehr da und die Gründe kennt keiner)

So. Das waren die kurzfristigen/direkten Folgen, wenn du geghostet wurdest. Mir ging es irgendwann gar nicht mehr darum, die Beziehung zurück zu wollen, sondern den Menschen zurück zu bekommen. Und um Antworten. Ich denke, mit Antworten hätte ich nicht so lange an der Geschichte gehangen, denn dann hätte ich gewusst, was Sache ist und hätte einen Schlussstrich ziehen können. So ging das aber nicht. Jahrelang zitterten mir die Hände, wenn eine unterdrückte Nummer bei mir anrief. Ich vermute auch, dass das ein oder andere Mal tatsächlich ER am anderen Ende der Leitung saß, denn ich hatte gerade in den ersten Monaten nachdem er verschwunden war recht häufig Anrufe, bei denen mir keiner auf mein ‚Hallo‘ antwortete. Diese Anrufe haben mich dann immer für mehrere Tage aus der Bahn geworfen. All diese Gefühle hielten sich teilweise über Jahre (und tauchen manchmal sogar heute noch auf), aber für die Zukunft einschneidender sind eigentlich folgende Dinge, die das Ghosting mit dir macht:

  1. Man hat starke Probleme, sich jemand neuem zu öffnen. Das ist eigentlich auch völlig logisch, weil man die Trennung lange als nicht offiziell ansieht. Ich habe die Hoffnung, dass ER zurückkehrt sogar viele, viele Jahre nicht aufgegeben. Man lebt weiter, irgendwie, klar, aber … irgendwas fehlt oder steht zwischen dir und deinem neuen Partner.
  2. Wenn du dich tatsächlich irgendwann wieder auf eine Partnerschaft einlässt, hast du vielleicht unbewusst Bindungsängste entwickelt. Bei mir war das so. Der Mann, der mich per Ghosting verlassen hat, war vor unserer Liebe zueinander schon sehr, sehr wichtig für mich geworden. Ganz platonisch als Freund, hatte er mich durch eine sehr schwierige Zeit begleitet und ich half ihm ebenso durch eine schwere Zeit. Ich hatte also gleichzeitig meinen Partner und meinen Vertrauten verloren. Das hat mich extrem vorsichtig gemacht und ich bin extrem darauf sensibilisiert, mich entsprechend zurückzuziehen um mich und meine Gefühle vor so etwas zu schützen. Es gibt also viele Dinge, mit der ich eine Beziehung heute nicht mehr belasten würde. Nicht, weil ich dem Partner nicht vertraue – sondern weil ich Angst hätte, mich emotional zu sehr an den Partner zu hängen.
  3. Misstrauen in den neuen Partner. Je nachdem, was das Ghosting mit deinem Selbstvertrauen gemacht hat, wird es dir auch schwer fallen, deinem neuen Partner zu vertrauen. Du wirst viel, viel schneller ins Grübeln geraten, wenn dein Partner sich zu lang nicht bei dir meldet oder mal zu spät von der Arbeit heim kommt. Und auch für deinen Partner ist dieses Verhalten extrem belastend, denn du neigst zum Klammern, weil du Angst hast vor noch einer solchen Erfahrung. Es ist also eine Herausforderung an beide Partner.
  4. Fehlendes Gefühl der Sicherheit in der Partnerschaft. Selbst als ich schon mehrere Jahre mit meinem neuen Partner zusammen war, fühlte ich mich dennoch oftmals nicht sicher. Das hat sich wohl so aus dem Misstrauen entwickelt. Mein Partner konnte mit dem Klammern nicht umgehen und verspätete sich andauernd (unverschuldet). Mein Misstrauen verschwand dadurch nie, sondern wurde – im Gegenteil – eher schlimmer.

Wie du siehst, ist die Ghosting-Erfahrung nicht nur kurzfristig, sondern auch langfristig gesehen, ein ganz schöner Einschnitt in das Vertrauen in dich selbst und in andere Menschen. Das muss sich übrigens nicht nur auf die Beziehung beziehen. Ich bin generell sehr vorsichtig geworden und bei weitem nicht mehr so mitteilungsfreudig. Es gibt wenige Menschen, denen ich vertraue und selbst bei diesen achte ich genau auf bestimmte Zeichen und ziehe mich schneller zurück.

Dann gibt es da aber noch die andere Seite. Natürlich erscheint es erst einmal als einfachste Lösung, aus einer Beziehung einfach auszusteigen und sämtliche Verbindungen zu kappen. Kein Konflikt, kein Streit, keine Tränen, so der erste Schluß. Ich habe mich nie in dieser Weise von jemandem getrennt, und möchte daher im folgenden eine rein theoretische Aufzählung aus der Sicht des Verlassenden schreiben. Ich habe mir einfach überlegt, wie es mir gehen würde, wenn ich jemanden einfach verlassen würde.

  1. Wahrscheinlich wäre ich in erster Linie genervt, weil der (Ex-)Partner einfach keine Ruhe gibt.
  2. Gehetzt, denn man muss dem Ex-Partner ja ständig aus dem Weg gehen.
  3. Evtl. musst du sogar einen Teil deines sozialen Netzwerkes aufgeben, dann erweitern sich die anderen Punkte aus dieser Liste auch noch auf diese Personen.
  4. Irgendwann bekommst du dann wahrscheinlich Schuldgefühle, wenn dir bewusst wird, wie sehr der andere darunter leidet.

Kurz gesagt: Mach. Es. Einfach. Nicht. Es ist unfair und feige. Wenn du dich trennen willst, tu es, aber halte die Gefühle deines Partners aus, denn das bist du demjenigen schuldig.

Was kannst du nun tun, wenn dein Partner einfach entschieden hat, dein Leben zu verlassen?

Aus heutiger Sicht kann ich dir an erster Stelle raten, dass du dir jemanden suchst, der das Ganze wirklich versteht. Ich hatte damals viele Freunde an meiner Seite. Denen bin ich auch nach wie vor sehr dankbar, weil sie mich damals ausgehalten und ertragen haben. Aber ich denke, dass es für alle besser gewesen wäre, wenn ich jemanden gehabt hätte, der die Situation selbst kennt. Wer diese spezielle Situation nicht kennt, kann sie in meinen Augen nicht nachvollziehen. Natürlich hilft es trotzdem zu reden, aber es ist als würdest du mit jemanden, der noch nie einen PC genutzt hat über Programmierung fachsimpeln. Hinzu kommt, dass bei einer solchen Trennung die negativen Gefühle viel länger an dir haften, als bei einer ‘normalen’ Trennung und du sie teilweise tatsächlich noch viele Jahre mit dir rumschleppst.

Mein zweiter Rat hängt sich direkt daran an, dass der erste Rat dir vielleicht gar nichts nützt denn vielleicht gibt es eher wenige Menschen in deinem Umfeld, die dich verstehen werden. Du musst also einen Weg finden, deine Gedanken und Gefühle allein zu verarbeiten, denn ein klärendes Gespräch mit dem (Ex-)Partner wird es in den meisten Fällen nicht mehr geben.

Sei kreativ, du musst deinen eigenen Weg finden. Es ist völlig egal, ob du malst, schreibst, zeichnest, Musik machst oder sonst etwas. Aber lass es aus dir raus. Und nein, du musst deine Werke niemanden zeigen. Viele würden die eigentlichen Botschaften auch nicht verstehen. Ich selbst habe hauptsächlich geschrieben und Bilder mit Photoshop gestaltet. Mir hat auch die Musik sehr geholfen, weil ich dort immer wieder Lieder fand, die mich ansprachen, die ich verstand, die mir halfen, zu interpretieren. Und darunter sind auch heute noch Lieder, bei denen ich mich stark zusammen reißen muss, wenn sie im Radio gespielt werden.

Ich empfehle dir also, deinen eigenen kreativen Weg zu finden, die Gefühle aus dir heraus nach draussen zu kanalisieren.

Mehr ist es auch gar nicht. Ich würde dir gerne noch 5-6 oder mehr Tipps geben, wie du die Situation der Ghosting-Trennung gut und schnell überstehen kannst. Die gibt es aber nicht. Es gibt niemanden, mit dem du ein klärendes Gespräch führen kannst. Es wird niemanden geben, der deine Fragen nach dem Warum beantworten kann. Wenn du gute Freunde hast, ziehen sie dich mit durch, auch wenn du ihnen mit deiner schlechten Laune auf den Keks gehst. Und wenn du klug bist, dann lässt du das auch zu. Du verpasst nichts, wenn du allein in deinem Zimmer hockst, also solltest du Zeit mit deinen Freunden verbringen. Dabei geht es nicht darum, ihnen gute Laune vorzuspielen (das sollte tatsächlich nie nötig sein, wenn es sich um wirkliche Freunde handelt). Es geht vielmehr darum, den Anschluss nicht zu verpassen. Wenn es dabei eine Situation gibt, die dir ein Lachen ins Gesicht zaubert, umso besser.

Zusammenfassung:

Nicht meinem schlimmsten Feind würde ich so etwas wünschen. Wenn sich der Partner einfach ohne jede Vorwarnung komplett aus deinem Leben ausklinkt, ist das einfach nur grausam und der Heilungsprozess dauert lange. Vielleicht vergeht er auch nie. Ghosting ist für alle Betroffenen furchtbar. Verlässt man auf diese Weise, hat man vielleicht viele Jahre Schuldgefühle und man kann selbst nicht allzu schnell mit der Beziehung abschließen, da man sich nie sicher sein kann, wann die nächste Nachricht auftaucht.

Wird man auf diese Weise verlassen ist es noch schlimmer. Man leidet. Je nach vorhandenem Selbstbewusstsein kann es einen richtig kaputt machen. Ich glaube, mich hat es ziemlich kaputt gemacht. Ich hätte mit einer ehrlichen, offensichtlichen Trennung wohl viel besser umgehen können.

Ich bin IHM trotzdem nicht böse. Sicher war ich zeitweise wütend und enttäuscht. Aber ich denke nicht, dass es bei dieser Geschichte einen Schuldigen gibt. Ich glaube vielmehr, jemand der einfach so verschwindet hat selbst sehr starke Selbstwertprobleme. Vielleicht ist er verzweifelter als der, den er verlässt. Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, dass diese Methode von jemandem genutzt wird, um den anderen zu verletzen. Ich will es mir nicht vorstellen.

Vielleicht gelingt es irgendwann über eine solche Trennung hinweg zu kommen, und sich wieder völlig einem neuen Partner hinzugeben und ihm zu vertrauen. Vielleicht gelingt das auch nie, vielleicht ist das maximalste, was wir erwarten können, kürzere und längere Ruhephasen zu haben, in denen wir nicht so sehr an diese Beziehung, diese Trennung denken müssen.

Ich bin nun seit einigen Jahren bereits soweit, dass ich sagen kann, ich hab es verwunden. Ausschlaggebend waren viele persönliche Entwicklungen und irgendwann war ich tatsächlich einfach genervt von mir selbst. Ich stöberte IHN also mal wieder in einem sozialen Netzwerk auf und schrieb ihm eine lange, lange Nachricht. Den genauen Nachrichteninhalt weiß ich nicht mehr, aber ich schrieb irgendwie, dass ich soviel im Kopf habe, dass er sich gefälligst entweder melden soll oder sich andernfalls aus meinem Kopf verziehen soll. Natürlich bekam ich keine Antwort und werde vermutlich auch nie eine bekommen. Aber tatsächlich schwirrt er mir seit dieser letzten Nachricht nicht mehr im Kopf herum. Ich kann also sagen, dass ich nach fast 12 Jahren tatsächlich das Kapitel meines Ghosting-Falls abschließen konnte. So zumindest mein Plan.

Nachdem ich diesen Artikel auf der Seite einer Bloggerin als Gastartikel veröffentlicht hatte, bekam ich jedoch immer wieder Mails von Menschen, die ähnliches erlebt hatten. Ich wollte helfen, beantwortete Mails, hörte zu, tröstete und vermittelte wo es nötig war Hilfsangebote. Ich begriff, dass ich mit meiner Erfahrung nicht allein war und dass es vielen Betroffenen half, genau das auch zu erfahren. Daher entschied ich mich, dem Thema mehr Raum zu geben. Ich holte den Artikel im April 2021 auf meinen Blog zurück, damit Betroffene alles an einem Platz finden.

 Wenn du von Ghosting betroffen bist, sei es als Verlassener oder Verlassender, freue ich mich auf einen Austausch mit dir in meinen Blogartikeln oder per Mail.
 
 
 
Deine Sunny
 

 

Gastbeiträge gesucht

Ich bekomme sehr viele Zuschriften zum Thema Ghosting und würde gern mehr „Erfahrungen“ auf diesem Blog veröffentlichen.

Wenn du mir und anderen deine Ghosting-Geschichte erzählen möchtest oder deine Ansichten zum Thema, schreib mir einfach eine E-Mail.

Eure Sunny

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