Ich frage mich heute, was war eigentlich zuerst da – die Machtlosigkeit, mit der Sozialpädagogen, Lehrer, Schulassistenten und andere Schulangestellte dem nicht selten herrschenden Chaos auf Schulfluren und Schulhof begegnen – oder die vermeintlichen „Helikoptereltern“, die versuchen, ihre Kinder vor diesen Einflüssen zu beschützen.
Ich habe das Gefühl, dass die Situation immer mehr eskaliert. Eines meiner Kinder scheint vermutlich noch recht viel Glück mit ihrer Klassengemeinschaft zu haben, wenn ich dagegen sehe und höre, was in der Klasse meines anderen Kindes vor sich geht, habe ich da echt Bedenken.
Ein Auszug der letzten Tage:
Kinder haben im Jackenraum mit Schuhen herum geworfen. Ein nicht beteiligtes Kind wurde von einem Schuh im Gesicht getroffen.
Kinder haben eine Pause um etwa 20 Minuten überzogen und sich im Schulhaus versteckt
Kinder veranstalten im Jackenraum so einen enormen Lärm, dass sich einzelne Kinder nur schnell ihre Sachen nehmen und diesen Raum schnellstmöglich wieder verlassen. Sie ziehen sich im Schulflur oder draussen um.
Kinder arbeiten mit Material und versuchen, wie gut dieses im Gesicht eines anderen Kindes kratzt.
Damit wir uns richtig verstehen – wir reden hier von Erstklässlern. Heute Mittag stand ich auf dem Schulhof, um meine Kinder abzuholen. Mein Kind kam mit einer Freundin aus der Schule, von weitem sah ich, dass irgendetwas mit dem Mädchen nicht stimmte, sie und meine Kinder kennen sich schon seit Jahren. Sie weinte, andere Kinder versuchten sie zu trösten. Sie war völlig aufgelöst, erzählte, dass es im Jackenraum viel zu laut war, dass ihre Haarspange weg war, dass sie ihre Leuchtweste nicht gefunden hatte. Die umstehenden Kinder waren so toll, nach den Sachen zu suchen, während ich bei ihr blieb. Sie tat mir so leid, sie wirkte so zerbrechlich. Auch mein Kind berichtete, dass es im Jackenraum zu laut sei, um sich dort umzuziehen; mein Kind hatte schon immer Probleme mit hoher Lautstärke.
Dann kam mir der Gedanke, was es mit mir machen würde, wenn es tatsächlich mein Kind gewesen wäre, was so gelitten hätte. Ich kann meine Kinder sicher nicht vor allem beschützen, aber ein Fern- bzw. Online-Unterricht, wie er in anderen Ländern möglich ist, wäre in solch einem Fall eine sehr reizvolle Alternative. Da das in Deutschland leider nicht möglich ist, bliebe mir in einem solchen Fall also nur, mein Kind direkt am Klassenraum vom Unterricht abzuholen, in den Jackenraum zu begleiten und darauf zu achten, dass ihm nichts passiert. Ist aber bestimmt nicht von Vorteil für das Ansehen des einzelnen Kindes bei den Klassenkameraden, wenn es „noch von Mama begleitet wird“. Es ist also eine schwieriger Balanceakt zwischen „das eigene Kind beschützen“ und die Integration in die Klasse nicht zu erschweren. Mir ist durchaus bewusst, dass Lehrkräfte und Schulpersonal nicht überall sein können. Aber wenn ich wüsste, dass mein Kind so verzweifelt ist bzw. diese Situation so (über)fordernd – ist es dann nicht meine Aufgabe als Mutter, ab einem bestimmten Punkt einzugreifen und mein Kind zu unterstützen?
Und dann kam ich auf das Thema „Helikopter-Eltern“. Ich mag das Wort nicht. Es ist auch nicht möglich eine klare Grenze zu ziehen, ab wann man eine Helikopter-Mutter bzw. -papa ist. Der Hintergedanke ist ja immer, sein Kind zu beschützen. Das finde ich richtig und wichtig, denn dafür sind Eltern meiner Meinung nach da. Aber ein „Zuviel“ ist auch nicht gut, denn ich bin der Meinung, dass Kinder ihre Freiheit brauchen, um sich entwickeln zu können. Wenn ich mein Kind nie dazu ermuntere, allein neue Erfahrungen zu sammeln, neue Wege zu gehen – wie will ich dann von ihm verlangen, irgendwann einmal selbstständig zu sein und meine Hilfe nicht mehr zu benötigen?
Es geht also nicht darum, Kinder unnötig in Watte zu packen, ihnen vermeintlich gefährliche Sportarten zu verbieten, sie keinen Schritt allein gehen zu lassen. Überraschung, trotzdem wird den Kindern irgendwann mal etwas mehr oder weniger Schlimmes widerfahren. Sei es eine Verletzung oder eine Enttäuschung durch einen Freund oder eine Freundin. Es geht darum, sie nicht allein zu lassen, wenn sie Hilfe brauchen und zwar wirkliche Hilfe.
Ich habe mit meinem Kind besprochen, dass die Schulfreundin eingeladen wird, mein Kind mal zum WingTsun zu begleiten. Keine Ahnung, ob das Angebot angenommen wird, ich hoffe es. Und wenn ja, hoffe ich, dass es dem Kind hilft. Und ich hoffe, dass meine Kinder immer eine Möglichkeit finden, sich selbst und anderen zu helfen.
Heute bin ich stolz. Stolz darauf, wie mein von manchen „als schwieriges Kind“ betiteltes Kind sich um eine Freundin kümmert, der es nicht gut geht. Ich hoffe, mein Kind behält diesen wunderbaren Wesenszug noch lange bei.
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